Ich möchte ein Zitat des Theologen Gerhard Ebeling an den Anfang stellen, darin heißt es:
„Es gibt Worte, die sind wie eine Herberge.“
Als ich diesen Satz zum ersten Mal hörte, habe ich ihn gar nicht so beachtet. Aber je mehr Trauerreden ich hielt und je mehr ich mich mit der Thematik des Trauerns beschäftigte, umso mehr bin ich in diesen Satz eingetaucht und desto besser konnte ich auch seine Botschaft verstehen.
Worte sind ein äußerst machtvolles Instrument. Sie können uns so richtig guttun, sie können schmeicheln, sie können begeistern und uns in höchste Verzückung versetzen. Sie können uns ein richtig gutes Gefühl vermitteln, können uns aufbauen und uns stark machen. Worte können aber auch das Gegenteil bewirken. Sie können ärgern, können enttäuschen, können uns vor Wut platzen lassen und sie können uns mehr verletzen als der schmerzhafteste Schlag, der uns zugefügt wird. Worte können uns niederschmettern oder sie können uns tragen. Und Worte können, so wie Gerhard Ebeling es sagte, eine Herberge sein.
In einer Herberge kann ich mich nach einem anstrengenden Tag ausruhen. Hier kann ich Ruhe finden und neue Kräfte sammeln. Hier habe ich einen Raum, in dem nachdenken kann. Das alles können Worte bewirken. „Es gibt Worte, die sind wie eine Herberge.“
Gisela Köller
Trauerrednerin und Journalistin
Wenn uns der Tod einen geliebten Menschen nimmt, dann scheint es oft, dass alles um uns herum zusammenbricht. Zeit und Raum verlieren ihre Bedeutung. Wir haben das Gefühl, dass die Welt stillsteht, stillstehen muss, weil es uns einfach unfassbar scheint, dass sie sich weiterdreht, so tut, als wäre nichts geschehen. Oft werden wir vom Tod regelrecht überrollt. Denn er fragt nicht, wann er kommen kann, und ob es uns recht ist, zu gehen. Er konfrontiert uns mit seiner Endgültigkeit und der Unabänderlichkeit. Er setzt einen Punkt.
Und er zwingt uns, Abschied zu nehmen.
Nach langer, schwerer Krankheit kann der Tod Trost bedeuten, aber er kann auch mit unsäglicher Wucht völlig unerwartet in unser Leben einschlagen. Wir können ihn vielleicht akzeptieren, wenn er ein erfülltes, betagtes Leben beschließt, der Tod eines Kindes aber, das vor den Eltern stirbt, oder ein unerwarteter Suizid, macht ihn nahezu unfassbar. Am liebsten würden wir uns dann verkriechen oder vergraben, und uns ganz in unsere Trauer fallen zu lassen. Aber oft ist uns das gar nicht möglich.
Nach dem Tod eines nahe stehenden Menschen folgt meist erst einmal eine Phase der Betriebsamkeit. Es gilt Entscheidungen zu treffen, Formalien zu erfüllen, Dinge zu klären, Briefe zu schreiben, Fotos herauszusuchen, Besuche für die Trauerfeier zu organisieren, Räumlichkeiten für den Tröster zu finden und vieles, vieles mehr. Und es gilt, den Gedanken an den Tag der Trauerfeier auszuhalten. Diesen Tag des endgültigen Abschieds mit all seinen Emotionen, von dem man sich – wie ich aus eigener Erfahrung weiß – wünscht, der möge doch schon vorbei sein. In dieser schwierigen Situation, in diesem Ausnahmezustand der Gefühle, in dem sich die Angehörigen gerade befinden, kommen dann auch noch wir als Trauerredner dazu, rufen wir an, um einen Termin für ein Trauergespräch zu vereinbaren.
Der Trauerredner wird dann beauftragt, wenn der Verstorbene nicht in der Kirche war oder ausgetreten ist, oder, was ich auch sehr oft erlebe, der Glaube ihm nichts mehr bedeutete, oder wenn keine kirchliche Trauerfeier gewünscht wird. Oft wurden früher erlebte Trauerfeiern als zu unpersönlich empfunden. Und für Waldbestattungen in entfernten Ruheforsten oder Friedwäldern stehen meist ohnehin nur Trauerredner zur Verfügung. Es gibt verschiedene Gründe, warum man einen Trauerredner beauftragt. Und aus meiner eigenen Erfahrung und auch aus der meines Kollegenkreises heraus kann ich sagen, dass die Zahl unserer Aufträge kontinuierlich wächst.
Ich biete sowohl weltliche als auch christliche Trauerreden an.
Wie die Trauerfeier gestaltet werden soll, das klärt sich im Trauergespräch, in diesem ersten persönlichen Kontakt mit der Familie, i.d.R. kurz nach dem Todesfall. In dieser ersten Begegnung ist es wichtig, eine Vertrauensbasis zwischen den Angehörigen und mir als Trauerrednerin zu schaffen. Was mir über den Verstorbenen erzählt wird, das bildet ja die Basis meiner Rede. Und nur dadurch kann ich mir überhaupt ein Bild von dem Verstorbenen machen. Wichtig in dem Gespräch sind auch die Zwischentöne und das, was nicht gesagt wird. Aber längst nicht alles, was zur Sprache kommt, wird auch in der Rede verwendet.
Aber es gibt mir die Möglichkeit, den mir unbekannten Verstorbenen besser kennenzulernen.
Denn schließlich ist es mein Ziel, ein möglichst authentisches Bild des Verstorbenen zu zeichnen, so dass er vor dem geistigen Auge der Trauergemeinde noch einmal lebendig wird.
In diesem Gespräch frage ich auch nach der spirituellen Ausrichtung des Verstorbenen und erfahre dann auch meist, aus welchem Grund ich als Trauerrednerin gefragt bin. Wird eine christliche Feier gewünscht, nehme ich ein gemeinsames Vaterunser mit auf oder einen anderen christlichen Text, beispielsweise ein Zitat aus der Bibel oder den Sonnengesang des Franz von Assisi und ich spreche am Grab einen Segen. (ich bin ein getaufter Christ und als solcher darf ich segnen). Ich binde auch gern andere spirituelle Elemente ein, wenn sich der Verstorbene beispielsweise für den Buddhismus oder eine andere Glaubensrichtung oder vielleicht für Esoterik interessierte. Als Trauerrednerin bin ich für jede Art der Gestaltung offen, solange sie nicht gegen den Anstand und „die guten Sitten“ und den ausdrücklichen Wunsch des Verstorbenen verstößt.
Im Zentrum der Rede steht die Biographie des Verstorbenen mit seinen wichtigsten Lebensdaten und -ereignissen, mit glücklichen und schwierigen Momenten, die sein Leben ausmachten, mit seinen Charaktereigenschaften und Eigenarten, mit Hobbys und Vorlieben. Dabei darf auch mal geschmunzelt oder gelacht werden, denn auch humorvolle Ereignisse oder lustige Eigenarten können ein Leben prägen. Natürlich gilt auch hier die Wahrung der Würde. Denn Negatives oder gar Verletzendes hat in einer Trauerrede nichts verloren. Es kann aber durchaus erforderlich sein, klare Worte zu finden, wie beispielsweise bei einem Suizid oder einer schwierigen Biographie. Denn genauso störend wäre es, bekannte Probleme schön zu reden.
Bei solchen sensiblen Themen sind wir dann als Trauerredner gefordert, besonders einfühlsam und vorsichtig zu sein. Wenn möglich, kann der Aspekt der Versöhnung in den Raum gestellt werden. Und selbstverständlich verbietet es sich, die Dinge persönlich zu bewerten oder gar zu verurteilen. Solche speziellen Trauerreden sind eine besondere Herausforderung und verlangen sehr viel Fingerspitzengefühl.
Zur individuellen Gestaltung der Rede trägt auch meine breitgefächerte Zitaten- und Literatursammlung bei, die ich ständig erweitere. Und manchmal haben auch die Angehörige besondere Textwünsche, denn vielleicht gab es ja einen Lieblingsdichter. Ich leihe ihnen auch gern meine Stimme, indem ich einen letzten Brief an den Verstorbenen vorlese, den sie verfasst haben oder indem ich einen sehr persönlichen Text vortrage. Dies ist meist auch für mich sehr emotional und ich muss mich dann besonders gut vorbereiten, um diese Emotionen auszuhalten.
Als Trauerredner haben wir für die Abschiedsfeier einen relativ großen persönlichen Gestaltungsfreiraum, so dass wir viele Wünsche der Angehörigen berücksichtigen können. Dies gilt auch für die Musik. Es darf die Musik gespielt werden, die der Verstorbene zu Lebzeiten am liebsten hörte, oder die, die zu ihm passt. Auch Livemusik, eine Band, oder Solisten können in die musikalische Gestaltung der Feier einbezogen werden. Ob Rockmusik, Beat, Schlager oder Klassik, uns sind bei der Musikauswahl keine Grenzen gesetzt. Nie vergessen werde ich die Trauerfeier für eine junge Frau, die Mitglied des FC St. Pauli war: mit den Klängen der St. Pauli-Hymne „Hells Bells“ von AC/DC haben wir sie zum Grab begleitet.
Hin und wieder kommt auch der Wunsch nach Orgelmusik und christlichen Liedern.
Für diese Fälle kann der Bestatter immer eine/n Organisten benennen, der auch bei kirchlichen Trauerfeiern spielt.
Was der Feier noch einen ganz besonderen Touch verleiht, das sind Lieblingsgegenstände des Verstorbenen, die an der Urne oder am Sarg aufgestellt werden können. So entsteht eine ganz persönliche Atmosphäre, die die Erinnerung an den Verstorbenen noch einmal in besonderer Weise lebendig werden lässt. Da war der Lieblingshut, der bei der Gartenarbeit aufgesetzt wurde, ein Instrument, das gespielt wurde, das geliebte Moped. Oder rechts und links der Urne im Friedwald die beiden alten Motorräder aus den Fünfzigern, an denen der Verstorbene zeit seines Lebens herumschraubte. Da waren selbstgemalte Bilder und eine Fotomontage, die Eintracht-Fahne oder das Weißbierglas von Bayern München. All das waren persönliche Abschiede, die wunderbar waren und die bei den Angehörigen und vielen Trauergästen in positiver Erinnerung geblieben sind Bestätigt wurde mir dies von Angehörigen und Trauergästen, deren Feedback ich oft direkt nach der Feier erhalte oder etwas später per Brief oder E-Mail.
Und ich habe sehr oft das Gefühl, dass ein solch persönlicher, auf den Verstorbenen genau passender Abschied schon ein ganz kleiner Schritt hin zur Trauerbewältigung ist. Denn die Angehörigen haben dann die Gewissheit, dass sie ihren liebsten Menschen angemessen verabschiedet haben, dass der Abschied in seinem Sinne war und dem Verstorbenen selbst auch gefallen hätte. Genau das zu treffen, macht für mich die Kunst einer guten Trauerrede und einer gelungenen Trauerfeier aus.
Mein Verständnis als Trauerrednerin geht für mich über das Schreiben und den Vortrag der Rede hinaus. Mein Anliegen ist es, den Angehörigen die Gewissheit zu geben, dass ich sie bildlich gesprochen an der Hand nehme und sie auf diesem schweren Weg der Abschiedsphase ein Stück weit begleite. Sie können jederzeit vorher den Kontakt zu mir aufnehmen, wenn sie das Gefühl haben, dass noch unbedingt etwas gesagt werden muss oder sie einfach mit mir reden wollen. Es ist mir wichtig, dass sie sich von mir begleitet fühlen und dass sie nicht alleine sind.
Meine Arbeit ist aber auch auf die Zukunft gerichtet.
Ich möchte die Gewissheit vermitteln, dass man den Verstorbenen nicht loslassen muss, sondern dass er in den Herzen seiner Lieben weiterleben darf und auf diese neue Art für sie präsent ist. Dieser Gedanke soll den Angehörigen Mut machen und sie weiterhin begleiten.
„Es gibt Worte, die sind wie eine Herberge“.
So, wie ich Kraft und Stärke aus einem Aufenthalt in einer Herberge mitnehmen kann, in der ich zur Ruhe komme und nachdenken kann und von der aus ich nun meinen Weg fortsetze, so sollen auch meine Worte wirken. Als Trauerredner können wir den Verstorbenen nicht zurückholen, aber wir können den Angehörigen den schweren Weg durch die Trauer vielleicht ein kleines bisschen erträglicher machen. Ein Trauerfall richtet unseren Blick aber auch ein Stück weit auf die Grenze unseres eigenen Lebens.
Auch wenn dieser Gedanke vielleicht schmerzhaft und schrecklich ist, womöglich geschieht ja etwas Wundersames, wenn wir ihn zulassen. So sieht dies zumindest der Arzt und Philosoph Albert Schweitzer, mit dessen Text ich meinen Vortrag beenden möchte:
„Wir alle müssen uns mit dem Gedanken an den Tod vertraut machen, wenn wir zum Leben wahrhaft tüchtig werden wollen. Wir brauchen nicht jeden Tag, jede Stunde daran zu denken, aber wenn der Weg unseres Lebens uns auf einen Aussichtsturm führt, wo das Nahe verschwindet und der Blick in die Ferne schweift bis zum Ende, dann die Augen nicht schließen, sondern innehalten und in die Ferne schauen, und dann wieder weiter.
Aus diesem Todesgedanken kommt die wahre Liebe zum Leben.
Wenn wir in Gedanken mit dem Tod vertraut sind, nehmen wir jede Woche, jeden Tag als ein Geschenk an. Und erst, wenn man sich das Leben so stückweise schenken lässt, wird es kostbar.“
Vielen Dank!
Ihre Gisela Köller
www.trauerreden-koeller.de