Jürgen Wiesmann ist Mainzer Fastnacht-Star und Trauerredner
Ein Leben voller Gegensätze: Als Figur „Ernst Lustig“ zählt Jürgen Wiesmann zu den Stars der Mainzer Fastnacht. Als freier Trauerredner steht er Menschen in schweren Zeiten zur Seite. Im Interview erklärt er, wie das zusammenpasst.
Fastnacht und Friedhof, was fasziniert Dich an diesem Gegensatz?
Beides lebe ich mit viel Herzblut und Energie. Es macht mir Freude, nahe bei den Menschen zu sein, sie bei der Fastnacht zum Lachen zu bringen aber ihnen eben auch in schweren Momenten wie der Trauer zur Seite zu stehen. Es gibt mir sehr viel, wenn ich Trauerreden schreibe und die richtigen Worte für die schweren Stunden finden kann. Wenn ich Geschichten erzählen kann, die die Verstorbenen in diesem Moment vor dem inneren Auge aufleben lassen und ich sehe, wie das die Angehörigen berührt und ihnen Halt gibt – dann macht mich das sehr glücklich.
Wie ergänzen sich diese beiden Tätigkeiten?
Ich bringe so viele Menschen zum Lachen. Das gibt mir Kraft – Kraft, die ich an die Trauernden weitergeben möchte. Zudem ist die Fastnacht in fast jedem Abschiedsgespräch ein Thema. Die Menschen kennen mich, manchmal war der Verstorbene sogar ein Fan von mir und so erlebe ich, wie sehr sie mir vertrauen. Das berührt mich sehr.
Wie bist Du zu der Fastnacht-Figur Ernst Lustig geworden?
In unserer Gegend kommt man an der Fastnacht nicht vorbei – entweder man macht mit oder fährt zu dieser Zeit in Urlaub. Eigentlich bin ich gelernter Werkzeugmacher, habe lange bei einem Autohersteller gearbeitet und später ein Studium zum Maschinenbautechniker absolviert. Als Jugendlicher träumte ich davon, Schauspieler zu werden. Meine Eltern waren dagegen. „Bub, es werd was Anständiges gelernt!“ hieß es damals. So habe ich die Schauspielerei heute in Form von Fastnacht für mich entdeckt. Heute unterstützen mich beide Eltern sogar dabei: Meine Mutter näht die aufwendigen Kostüme und mein Vater fährt mich zu meinen Auftritten.
Wie bist Du auf den Namen Ernst Lustig gekommen?
Der Name ist heute Programm. Die Figur bzw. der Name entstand 2001 als ich meiner Figur einen Wiedererkennungswert geben wollte. Es sollte was Lustiges sein, also war der Name schon da und das Gegenteil ist Ernst und auch ein Vorname – und schon hatten wir es gehabt. Das sich mein Leben heute sich zwischen ernst und lustig bewegt, habe ich damals noch nicht geahnt. Aber wie so oft im Leben schließt sich der Kreis halt manchmal einfach so, wenngleich ich mich so auch sehe. Ich kann ein sehr lustiger Mensch sein, wie beispielsweise auf der Bühne, kann aber auch ein sehr ernst und nachdenklich sein.
Jürgen Wiesmann als Ernst Lustig
Warum bist Du Trauerredner geworden?
Wendepunkt in meinem Leben war als ich in meinem Berufsleben nicht mehr zufrieden war und gemerkt habe, dass ich nicht mehr glücklich bin und etwas verändern muss. Als mein Arbeitgeber mir ein Angebot machte, entschied ich mich 2018 Trauerredner zu werden.
Jemanden an der Seite zu haben, der einem Halt gibt, ist eine sehr vertrauensvolle Arbeit und Menschen Halt zu geben, wenn sie sich quasi im freien Fall fühlen, ist mein Ziel. Wenn die Menschen sich dann daran erinnern, wie der oder die Verstorbene war, wie er oder sie gelebt und gerne gelacht hat, dann darf sich in die Trauer auch ein Lächeln mischen. Dann weiß ich, dass ich den richtigen Ton getroffen habe. Und das gibt mir menschlich sehr viel.
Das Wichtigste dabei ist, dass die Hinterbliebenen an den durchaus traurigen Tag des Abschieds positiv zurückdenken. Das ist sehr wichtig: Nach all der Hektik der vergangenen Wochen, sich in die Verarbeitung der eigenen Trauer einlassen zu können.
Warum findest Du es wichtig, dass es gute Trauerredner gibt?
Die richtigen Worte, bedingungsloser Beistand, ein offenes Ohr, ein Fels in der Brandung, ein Anker zu sein, der Halt gibt, wenn kein Land in Sicht scheint: All das sind Geschenke, die das Trauern erträglich machen, wenn ein lieber Angehöriger verstorben ist. Es ist eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe, Menschen in diesen vielleicht emotionalsten und sensibelsten Momenten ihres Lebens zu begleiten, ihnen zu ermöglichen, in Würde und in dankbarer Erinnerung Abschied zu nehmen.
Du hast mittlerweile als Trauerredner schon ein paar Jahre Erfahrung gesammelt. Was rätst Du frisch ausgebildeten Trauerrednern?
Das Wichtigste am Beruf des Trauerredners ist es, das Herz am rechten Fleck zu haben. Sich auf die Menschen und ihre Bedürfnisse gegenüber ihrem Verstorbenen einzulassen und einzustellen, ist Grundlage einer vertrauensvollen und gemeinsamen Vorbereitung der Trauerfeier.
Meines Erachtens ist es zudem sehr wichtig, auch in schwierigen Situationen oder schwierigen Lebensläufen dem Verstorbenen einen würdevollen und ehrlichen Abschied zu bereiten, denn nur wer den Verstorbenen wiedererkennt, kann auch entsprechend Abschied nehmen. Alles natürlich mit der, dem Anlass gebührenden Neutralität. Theatralik oder ähnliches hilft in diesem Moment keinem etwas.
Was wünscht Du dir von der Gesellschaft im Umgang mit Tod und Trauer?
Ich wünsche mir da, dass Tod und Trauer keine Tabu-Themen bleiben. Viele wollen sich nicht mit dem Tod beschäftigen, obwohl keiner daran vorbeikommt. Die Trauerkultur hat sich zum Glück mittlerweile offener gestaltet. Gerade musikalisch. Es werden moderne, hoffnungsvolle und vor allem Lieblingsstücke des Verstorbenen gespielt. Aber in Gesprächen, z.B. im Freundeskreis merkt man, dass man sich doch nicht damit befassen will – auch, wenn man gefragt wurde, wie sich das mit dem Beruf Trauerredner denn so verhält.
Der Tod gehört zum Leben – und das wird auch für alle Ewigkeit so bleiben!